Zu einer 24-Stunden-Wache hatte Papst Franziskus aufgerufen. So hatten wir die ganze Nacht durchgewacht - immer mit Jesus in der Eucharistie in unserer Mitte. Gegen morgen hatten eine ganze Stunde lang Flüchtlinge aus Sri Lanka, Georgien und Afghanistan ihre Flucht-Geschichten erzählt. Es waren bewegende Augenblicke gewesen. Das Wort von Papst Franziskus begleitete uns: “Geht an die Ränder, dort werdet ihr IHN finden!” Vor Jesus in der Eucharistie sitzend bewegte mich plötzlich die Frage: “Jesus, wo wartest Du jetzt gerade auf mich? Hier in der Stunde der Anbetung oder draußen an den Rändern?” Zwei Familien - mit schweren Fluchtgeschichten kamen mir ins Herz. Ich hatte den Eindruck: ER ruft mich dorthin. So verließ ich das Anbetungs-Zelt und fuhr zu ihnen. Beide waren zu Hause. Beide waren durch den Krieg unvollständig. Menschen waren gestorben und in Kriegsgebieten zurück gelassen. Beiden konnte ich lange zuhören. Am Ende des ersten Gespräches sagte ein Mädchen aus der ersten Familie: “Kannst Du nicht bei uns bleiben? Ich war zum ersten Mal seit langem wieder froh!” Am Ende des zweiten Gespräches sagte mir ein junger Syrer: “Danke für Dein Kommen. Immer wenn wir zusammen sind, spüre ich einen so tiefen Frieden in mir!” Den Frieden, den ich in den Stunden der Anbetung hatte spüren dürfen, hatte ich in diese beiden Familien weiter bringen können.
Am Wochenende war ein Priester bei uns zu Gast. Mit vielen Jugendlichen waren wir zusammen, haben gegessen, viel gesprochen und gelacht. Nach dem wunderschönen Abend hab ich mich mit einigen Mädchen zusammen auf den Heimweg gemacht. Wir mußten eine halbe Stunde zu Fuß gehen und hatten richtig Spaß! Auf einmal rief mich eine gute Freundin an. Sie war sehr traurig. Um ehrlich zu sein, hatte ich in diesen Augenblicken, wo wir so viel auf der Strasse am Lachen waren, keine Lust, nun mit einem traurigen Menschen zu reden. Aber dann kam mir der Impuls: Sie braucht DICH jetzt! Und ich wollte eine “Antwort der Liebe” sein, das war unser Motto vor 2 Wochen. Also hab ich mich etwas von den lustigen Mädchen entfernt und mit meiner Freundin gesprochen. Ich konnte sie mit meinen Worten zwar nicht trösten, aber meine Nähe am Telefon und mein Zuhören tat ihr gut. Sie beruhigte sich wieder und wir haben sogar am Telefon gemeinsam lachen können. Die Freude, die ich nach dem Telefonat in meinem Herzen fand, war riesig!
Seit einigen Monaten bin ich zu einem Auslandssemester in Frankreich. In der Stadt, in der ich lebe, gibt es viele Wohnungslose und Nicht-Sesshafte. Viele von ihnen halten sich vor den großen Supermärkten auf, in der Hoffnung, von den Einkäufen etwas abzubekommen. Mittlerweile komme ich häufig an einem älteren Mann vorbei, den sein Alkohol-Konsum schon sehr gezeichnet hat. Er wirkt oft total abwesend und verbreitet einen sehr schlechten Geruch um sich. Mir kam die Idee, ihm eine Dusche bei mir anzubieten. Doch als junge Frau spüre ich, dass da eine Grenze ist, die ich nicht überspringen kann. So versuche ich jedes Mal, wenn ich ihn sehe, ihn anzuschauen und ihm ein Lächeln zu schenken. Da ich ihm kein Geld geben mag, habe ich zudem begonnen, ihm immer ein wenig von meinem Brot und meinen Früchten abzugeben. So teile ich ein wenig von meinem Leben mit ihm - und in meinen Gebeten hat er auch einen festen Platz. R.L.
17. Januar - Welt-Flüchtlingstag - seit über 100 Jahren begehen wir diesen Tag in unserer Kirche. Papst Franziskus hat 6000 Flüchtlinge auf den Petersplatz eingeladen. Er sagt ihnen: „Jeder von euch bringt eine Geschichte mit, eine Kultur, kostbare Werte; und oft auch Erfahrungen des Elends, der Unterdrückung und der Angst. Eure Präsenz auf dem Platz ist ein Zeichen der Hoffnung auf Gott. Lasst euch nicht diese Hoffnung und die Freude am Leben rauben, die hervorgehen aus der Erfahrung der göttlichen Barmherzigkeit, auch dank der Personen, die auch aufgenommen haben und euch helfen.“
Ich bin den Nachmittag und Abend über mit Geflüchteten verabredet und besuche sie in ihren Wohnungen. Abends bin ich noch im Mausegatt. Ein junges Paar aus Afghanistan wartet sehnsüchtig auf die Zeit, die wir teilen dürfen. Auf ihren 10,4 m² sind die Augenblicke des geteilten Lebens wie eine Oase in ihrem eintönigen Alltag. “Immer wieder nachts kommen all diese Bilder hoch”, erzählt mir der junge Mann, “besonders bei meiner Frau. Sie beginnt dann zu weinen und ich kann sie kaum trösten. Die langen Fluchtwege durch die dunklen Wälder zwischen Afghanistan und dem Iran und in der Türkei - die Angst vor wilden Tieren - die Angst, von der Polizei aufgegriffen zu werden - die Angst von Räubern, für die du nichts giltst, erschossen zu werden - die sieben Stunden auf dem Mittelmeer in dem total überfüllten Schlauchboot - der Hunger, die Kälte, die Ungewissheit... all das kommt dann wieder hoch!” Ich höre zu und trinke den grünen Tee, den sie mir angeboten haben. Ich schaue in verweinte Augen und hab selber Tränen in den Augen. “Wenn Du hier bist, dann haben wir wieder Hoffnung!” vertrauen sie mir an. Wir schweigen. “Du bist unsere Familie! - Danke, danke so sehr!” Ich nehme sie beide in den Arm. Dann gehe ich wieder - schweigend - zu meinem Auto. Ich begegne 15 jüngeren Männern, die in kleinen Gruppen die Lünener Straße entlang gehen. Ich weiß, sie kommen vom Sprachkurs bei Ingeborg Fickermann. Auch ihr Name ist in die Herzen dieser Menschen eingeschrieben als “Hoffnung”. An diesem Abend bin ich dankbar für so manchen, der in dieser Stadt oft unerkannt seinen Beitrag leistet, damit die Menschheit Familie wird.
Gerade aus dem Friedenscamp in Sarajevo zurückgekehrt, ging ich zum Frisör. Ich fragte meine Frisörin, während sie mir die Haare schnitt, ob sie denn bald Urlaub habe. Daraufhin fragte sie mich, ob ich auch schon im Urlaub war. Ich erzählte ihr von Bosnien, und völlig begeistert sagte sie, dass sie aus Serbien stamme! Wir freuten uns riesig über diesen „Zufall“ und tauschten uns über die Geschichte der beiden Länder, die Bräuche und Besonderheiten von Serbien und Bosnien aus. Ich erfuhr zum Beispiel, dass der serbische Kaffee noch ein wenig anders als der bosnische aufgebrüht wird! Sie gab mir einen Tipp, wo ich hier vor Ort den Kaffee kaufen kann und freute sich einfach total darüber, dass jemand so viel Interesse an ihrem Heimatland zeigte und sie sich mit jemandem darüber austauschen konnte! Als ich bezahlte, legte sie mir noch für die nächste Reise die Küste Kroatiens ans Herz, die sehr sehenswert sei. Unglaublich – denn ich hatte mir genau dies als eines der nächsten Reiseziele überlegt. Wir verabschiedeten uns mit einem großen Lächeln.
Gerade hatte ich mir meinen Tagesplan zurecht gelegt. Bevor ich mich jedoch an das Tagewerk machte, betete ich kurz und bat Gott darum, in meinen Plänen immer offen für die Seinen zu bleiben. Das Telefon schellte. Eine Freundin aus einem benachbarten Land rief an. Ich erinnerte mich an das Monatsmotto: “Ganz persönlich!” So nahm ich das Telefon mit und setzte mich auf einen Stuhl, um durch die Arbeit auf dem Schreibtisch nicht abgelenkt zu sein. Meine Gesprächspartnerin erzählte von ihren vergangenen Tagen. Am Fest der “Heiligen Familie” war sie in einem Gottesdienst gewesen. Ein Text aus dem Epheserbrief ging ihr sehr nach. “Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter!” heißt es da. “Das hab ich nie verstehen können! Für mich war das immer eine totale Unterdrückung. Aber mehr und mehr beginne ich zu verstehen, dass hinter all dem der Lebensplan Gottes steckt. Gott hat den Mann mit einer bestimmten Natur ausgestattet und die Frauen ebenso. Die Männer haben die natürliche Veranlagung zu beschützen und wir Frauen müssen sie darin ganz stark machen! Wir können noch intensiver lieben. Aber durch die Gleichmachungs-Diskussion in vielen Ländern ist dieses Geheimnis verloren gegangen!” Aufmerksam hörte ich zu. Weiter erzählte mir die junge Frau eine Erfahrung, die sie neulich gelesen hatte: “Stell dir vor! Ein Mann hatte in die Familie betreffenden finanziellen Belangen eine falsche Entscheidung getroffen. Seiner Frau war sofort klar, dass der eingeschlagene Weg nicht gut gehen konnte, aber sie stand zu ihrem Mann. Nach einigen Wochen kam ihr Mann heim und erzählte, dass er durch seine Entscheidung eine Menge an Geld verloren habe. Seine Frau begann, ihm vorzurechnen, dass er in der Zeit, in der sie sich kannten, viel mehr richtige als falsche Entscheidungen getroffen habe und sie machte ihm Mut, diese Niederlage nicht zu schwer zu nehmen. Diese Reaktion hatte der Ehemann nicht erwartet. Sie stärkte ihn so sehr, weil er die Liebe seiner Frau in diesem Augenblick noch viel tiefer spürte als je zuvor. Seine Frau hatte sich ihm (aus Liebe!!!) untergeordnet und hatte so dazu beigetragen, dass die schwere Situation zu einer Vertiefung ihrer Liebe werden konnte!” - Als ich auflegte spürte ich, dass mir in diesem Telefonat so viel Lebenserfahrung von einem jungen Menschen geschenkt worden war, wie ich es kaum für möglich gehalten hatte. Und das war das erste Telefon-Gespräch. Es folgten noch drei weitere. Gottes Liebe ist eben immer - ganz persönlich!
In den nach-weihnachtlichen Tagen besuchte ich meine Mutter. Von einer adventlichen Aktion waren noch einige kleine Christstollen geblieben, die ich im Auto liegen hatte. Wir entschieden uns, an einem Nachmittag eine kleine Wallfahrt zu einem ca. 30 Kilometer entfernt gelegenen Marienwallfahrtsort zu machen, um betend und für andere einstehend unsere Zeit miteinander zu teilen. Als wir an der Kapelle ankamen, mußten wir schon nach kurzer Zeit den Kirchenraum wieder verlassen, da er - schon sehr frühzeitig am Tage - abgeschlossen wurde. Ein wenig verdutzt und enttäuscht - zugleich aber glücklich, dass wir noch kurz in der Kirche hatten beten können - standen wir draußen. “Wie kannst du jetzt lieben?” schoss es mir als Frage durch den Kopf. Einige weitere Kirchenbesucher kamen und standen nun vor der verschlossenen Tür. Schnell holte ich das Gebäck aus dem Wagen und bot allen Ankommenden noch einen kleinen Stollen an. Jedes Mal schaute ich in erstaunte und frohe Gesichter. Als wir dann schon wieder im Wagen saßen, um heimzufahren, sah ich im Rückspiegel noch ein Ehepaar einen kleinen Fußpfad herauf kommen. Ich hielt abermals an, drehte, stieg aus dem Auto und rief dem Paar zu: “Kann ich Ihnen auch noch eine kleine nach-weihnachtliche Freude mit einem selbstgebackenen Christstollen machen?” - Der Mann reagierte und sagte: “Kennen wir uns nicht, als ich Deine Stimme gehört habe, war mir gleich klar wer du bist!” Vor mir stand ein Cousin mit seiner Frau, den ich über 20 Jahre nicht mehr gesehen hatte. Welche Freude, dass wir uns sehen und ein wenig plaudern konnten!
Lange hatten wir uns nicht gesehen. Es gab so viel zu erzählen und viel Schweres zu teilen. Die Zerrüttung in ihrer Familie hatte noch keinen guten Weg gefunden. Eine schwere unvermutete psychische Krankheit war bei einer nahen Verwandten aufgetreten. Ihr Mann war arbeitslos geworden und kam mit diesem Schicksal nicht zurecht. Körperlich hatte sie auch zu kämpfen. Mehr und mehr spürte sie, wie sie sich über Jahre um Dringlichkeiten und Notwendigkeiten ihrer Familie gekümmert hatte und so keine Zeit dazu gefunden hatte, für die eigenen Bedürfnisse einzustehen. Auch diese Erkenntnis tat weh! Ich merkte, wie gut es ihr tat, all das erzählen zu können und damit auf die Schultern eines brüderlichen Herzens zu legen. Dann waren wir auseinandergegangen. “Vielleicht sehen wir uns ja nochmals, bevor Du zurückfliegst!” Dieser fast flehentliche Ruf blieb mir im Herzen. Nach Tagen voller Arbeit nahte mein Rückflug. Eine Stunde vorher würde ich es noch schaffen, bei ihr vorbei zu schauen. Eine Tasse Tee war schnell bereitet. Wir saßen am Tisch. “Weißt du?”, begann sie unvermittelt, “oft fühle mich so allein, so einsam und verlassen. Oft weiß ich gar nicht mehr weiter. Ich kenne nur wenige Menschen, die so viel Schweres durch zutragen haben, wie mein Mann und ich. Könnte es nicht mal ein Jahr geben, was mir ein wenig Ruhe und Hoffnung bringt?” Dann füllten sich ihre Augen mit Tränen. Ich öffnete mein Herz so weit ich konnte, um all diesen Schmerz in mich hinein zu nehmen. Ich schwieg lange. Immer mehr erzählte sie. Der Raum zwischen uns war offen... Dann mußte ich aufbrechen - zum Flughafen. Sie brachte mich hin. “Oh, wie gut es tut, Dir das alles sagen zu können!” sagte sie. “Und während ich Dir das alles anvertraut hab, was ich überhaupt nicht geplant hab, spürte ich, dass es noch unter dieser Einsamkeit und unter diesem Alleinsein etwas gibt, was mir sagt: ‘Du bist nicht allein!’ Da ist Gott. Ja, Jesus, den ich oft nicht spüre, er läßt mich nicht allein!. Aber ich habe es erst wieder gespürt, als ich Dir meinen Schmerz erzählt hab!”
Ich erfuhr, dass meine Oma auf der Intensivstation lag. - Ich war hin und hergerissen. Sollte ich sonntags noch hinfahren oder erst am Montag? Ich gab einem inneren Dränen nach und beschloss beim Mittagessen, sofort zu fahren und nicht bis Montag zu warten. Als ich im Krankenhaus an der Intensivstation klingelte, sagte man mir, dass meine Oma auf eine normale Station verlegt worden sei. In diesem Zimmer angekommen, saß meine Patentante bei ihr. Ich sah, wie schlecht es meiner Oma ging. Sie atmete schwer und war schon zeitweilig kaum noch ansprechbar. Meine Tante mußte am späteren Nachmittag fahren. So entschied ich spontan, über Nacht zu bleiben, auch wenn ich dafür nichts mitgebracht hatte. Aber ich wollte sie in diesen schweren Stunden nicht allein lassen. Der Krankenpfleger brachte mir einen Sessel ins Zimmer und auf meine Nachfrage, ob es in der Cafeteria wohl noch eine Kleinigkeit zu essen gäbe, war seine “Ich bringe ihnen gleich etwas zum Abendbrot, dann können Sie bei Ihrer Oma bleiben!” So saß ich allein am Bett meiner Großmutter - eine sehr intensive Zeit. Ein wenig fürchtete ich mich vor dem, was kommen könnte, denn ich war in den letzten Augenblicken eines Menschen noch nie dabei gewesen... Und dann, wenige Minuten nach 21 Uhr starb sie in meinen Armen. All meine Angst war in diesen Augenblicken weg. In mir war eine tiefe innere Ruhe, die mich ganz bei ihr sein ließ. Es war ein unglaublich ruhiger, friedvoller Übergang... - Spät abends holte mich mein Onkel aus dem Krankenhaus ab und ich schlief in der Nacht in dem Gästezimmerchen, wo ich schon als Kind schlief. In diesem Zimmer, habe ich zum ersten Mal von Jesus gehört. Oma hatte mir von ihm erzählt! Hier hatte ich das erste Gebet meines Lebens gesprochen, das erste Mal - ganz kindlich - Seine Nähe erfahren dürfen. Ich musste damals dort schlafen, weil meine Mutter im Krankenhaus lag und ich hatte große Angst... So habe ich durch meine Oma gelernt, schon als Kind mit allem zu Jesus zu gehen. Er wurde mein tiefster Halt. Jetzt lag ich da in diesem Zimmer, wo meine Oma mir das erste Mal von Jesus erzählte, mit mir betete und eben noch, durfte ich ihre Hand halten, mit ihr beten und ihr von Jesus erzählen... Mir war, als schließe sich ein Kreis. Und ich spürte eine Liebe in allem - ganz persönlich!
In den letzten Wochen hatte ich eine Familie begleitet, die durch die akute Erkrankung des Mannes in arge Bedrängnis gekommen war. Existentielle Not tat sich auf. Ich fand einen Therapeuten, der die Muttersprache der Familie spricht. Er erklärte sich bereit,, uns noch trotz seines überfüllten Terminkalenders zu empfangen. Die Praxis lag nicht gerade in der Nähe, aber ich richtete es ein, dass ich die Familie mit dem Auto bringen konnte. Der Therapeut war sehr um uns bemüht, aber auch überrascht, dass ich mich “persönlich” so um diese Familie kümmerte. Glücklicherweise konnte er dem Mann etwas weiter helfen und die akute Situation deutlich entschärfen. Zwei Mal habe ich den Mann gefahren und beide Male antwortete der Therapeut auf mein Danke für seine investierte Zeit: “Nein, nicht Sie haben zu danken! Ich habe zu danken, dass Sie sich so um meine Landsleute kümmern!” An die Besuche schloss sich noch ein offizieller Schriftwechsel an. Wie sehr war ich überrascht, als ich in dem offiziellen Brief einen kleinen, handschriftlichen Gruß an mich fand! - In mir blieb eine echte Freude, über den Gruß und die beidseits ganz persönliche Begegnung!
Mit meiner Freundin, die mich am Klavier begleitete, hatte ich die erste Präsentation in einer “Weihnachtsklassenstunde” mit einer Arie aus Bach's Weihnachtsoratorium „Schlafe mein Liebster“ einzuspielen. Trotz langem Vorspiel brauchte ich Zeit, um mich in dieses Stück innerlich einzufinden. Mit alle meiner emotionalen und rationalen Kraft versuchte ich mir die Situation des Liedes vorzustellen, die wir im Unterricht erarbeitet haben: Ich sollte mir vorstellen, ich sei Maria und würde Jesus im Arm wiegen. Nach der Präsentation gab mir meine Freundin eine Rückmeldung. Sie sagte mir, sie habe gemerkt, dass ich die technisch anspruchsvolle Alt-Arie im Unterricht gut erarbeitet habe, aber was den Ausdruck anbeträfe, könne ich das noch zärtlicher und liebevoller bringen. Ich weiß, dass es bei Aufführungen gilt, 150% zu geben, damit 100% ankommen. In diesem Augenblick war ich echt enttäuscht über mich, denn ich hatte nicht gezeigt, was in mir steckt! Heute - ein paar Tage später - sprach mich meine Freundin nochmal ganz persönlich drauf an und sagte: „Vertrau dir! Ich weiß, dass du das kannst. Geh mehr aus dir raus! Du brauchst dich nicht verstecken. Hab Mut zum Ausdruck!“ Von meiner Gesangslehrerin hatte ich das schon öfter gehört: “Die Technik läuft, denk jetzt nur an Ausdruck, dann hast du automatisch die richtige Einstellung zum Singen!” Diese Ermutigung tat mir echt gut. Irgendwie hatte ich den Eindruck: Gott nimmt mich in den Arm, ganz persönlich!
Über mehrere Jahre hatte die Schwester eines Pflegedienstes mit großer Treue und Zuverlässigkeit meinen Vater gepflegt. So hatten wir am Krankenbett viel Zeit gemeinsam verbracht und dabei immer eine Menge an Leben geteilt. In diesen adventlichen Tagen kam sie mir wieder neu in den Sinn. So packte ich ein kleines Geschenk sorgfältig ein und legte es vor ihre Haustür - ganz persönlich. Wenige Tage später, als ich bei meiner Mutter vorbei schaute, empfing sie mich schon strahlend auf der Haustür und sagte: “Rat mal, wer mich heute besucht hat?” Ich hatte keine Idee. Und dann erzählte sie, dass die Schwester des Pflegedienstes vorbei gekommen war mit einer kleinen Blume in der Hand und dass sie eine ganze Zeit miteinander geredet hatten.
Es war frühmorgens - ich war auf dem Weg zum Spanisch-Unterricht. Ich hatte noch nicht entschieden, ob ich mit dem Bus fahren oder durch einen naheliegenden Wald laufen sollte, was ungefähr die gleiche Zeit ins Anspruch nimmt. Ich entschied mich für den Wald, nicht ahnend, dass es an diesem Morgen noch sehr dunkel und nebelig war... Das war eine echte Herausforderung für mich, da ich im Dunkeln immer schnell Angst habe. Von weitem schon sah ich den nebeligen Wald. Sollte ich da wirklich durchgehen oder doch besser umkehren? Mein Leitspruch der vergangenen Tage kam mir in den Sinn: “Ich vertraue DIR, Jesus!” Ich entschied mich, durch den Wald zu gehen - mit diesem erweckten Vertrauen im Herzen. Ich betete ein Gesätz des Rosenkranzes. “Der von den Toten auferstanden ist!” Während des Laufens bemerkte ich, dass der Wald gar nicht so dunkel und vernebelt war, wie er von außen ausgeschaut hatte. Ich war völlig überrascht. In diesem Augenblick wurde mir klar, welche Macht die Angst über mich haben kann. Oft versperrt sie Wege, die dunkel erscheinen, in Wahrheit aber gar nicht dunkel sind. Ich spürte in mir Er-Lösung, ja, irgendwie auch Auf-erstehung - die hatte ich ja in dem Rosenkranzgesätz betrachtet und ich pries Gott und sagte ihm: “Ja, Du bist auferstanden, Jesus. Ich vertraue Dir!”
Ich besuche seit einiger Zeit eine Frau in einem Altenzentrum, die sich kaum noch bewegen kann und deren Kommunikationsmöglichkeit sehr eingeschränkt, fast sogar unmöglich ist. Diese Frau ist nahezu bewegungsunfähig. Sie kann ihre Arme nicht allein unter der Bettdecke hervorholen. Sie liegt in ihrem Bett und kann nichts mehr tun. Ich bemühe mich bei jedem Besuch, sie in den kleinen Dingen, die ich tun kann, zu lieben: wenn ich sehe, dass sie schwitzt, hole ich einen feuchten Waschlappen und wasche und kühle sie ein wenig an Stirn und Armen, wenn ihr Speichel aus dem Mund läuft und das Handtuch, wenn ich komme, schon durchnäßt ist, wasche ich ihr den Speichel ab und wechsele das Handtuch. Ich habe gelernt auf kleine Dinge zu achten und zu tun, was dieser Frau gut tut - eben ganz persönlich. In der Adventszeit habe ich neu überlegt, wie ich ihr eine Freude machen kann. Mir kam die Idee, ihr etwas vorzulesen. Zuerst dachte ich, es müßte etwas Adventliches sein, aber, als ich versuchte, mich in ihre Haut hineinzuversetzen, hatte ich Zweifel, ob das passt, da sie das erste Jahr nicht mehr zu Hause ist und “Adventliches” möglicherweise Erinnerungen in ihr auslöst, die schmerzlich sind. Also hab ich weiter gesucht und ein sehr heiteres Buch hervorgekramt, das vom etwas überspitzten Lebensalltag einer "Großfamilie" mit 10 Kindern erzählt. Aus diesem Buch hab ich ihr bei meinem nächsten Besuch vorgelesen. Bevor ich jedoch zu lesen begann, sagte ich ihr, warum ich gerade dieses Buch und eben nichts Adventliches mitgebracht habe. Sie ließ mich strahlend verstehen, dass das genau die richtige Entscheidung gewesen war. Dann hab ich eine Stunde vorgelesen und musste das Lesen immer wieder unterbrechen, da wir beide sehr lachen mussten. Es war eine so frohe Stunde...und ihre leuchtenden Augen und ihr Lachen haben mich fast zum Weinen gebracht... Es war eben - ganz persönlich! Und bei meinem nächsten Besuch kommt das nächste Kapitel dran...
Wir hatten eine schwere Operation zu stemmen. Nach getaner Arbeit kam meine Mitarbeiterin um mir zu sagen, wie gut ihr das Miteinander in unserem Arbeitsfeld tut. Wir kommen menschlich gut miteinander aus und haben schon mehrere beruflich sehr herausfordernde Situationen miteinander gemeistert! Da diese Frau ihren Zug verpasst hatte, hab ich sie spät abends noch nach Hause gefahren. So blieb uns Zeit zu sprechen. Diese Zeit zum Gespräch ist wichtig, um schwere Situationen auch fachlich nochmals “durchzuarbeiten”. Nachdem wir das getan hatten, sagte sie zu mir: “Mit Ihnen ist das Arbeiten so ganz anders. Sie kennen die Patienten so gut und Sie sind so ganz persönlich!” Da wurde ich hellhörig. Ich fragte, wie sie das meine? “Nun ja, es ist so eine besonderer Atmosphäre so freundschaftlich, fast familiär! Meine Rolle als Mitarbeiterin ist mit Ihnen immer ganz anders, sie gefällt mir sehr. Ich habe den Eindruck, ich gehöre immer mit dazu!” - Wie gut tat mir diese Rückmeldung nach einem anstrengenden Arbeitstag - eben: “ganz persönlich!”
Vor ein paar Tagen erreichte mich ein Anruf. Nach kürzester Zeit war klar, es geht wieder um die Probleme, die wir schon oft besprochen haben. Zunächst war ich genervt! “Nicht schon wieder!” kam mir in den Sinn. “Und mein Gegenüber hat nach all den Gesprächen noch keine Schritte gemacht, um etwas zu ändern!” dachte ich weiter... Aber der Wunsch zu lieben wurde immer stärker in mir. So hab ich tief Luft geholt und versucht, ganz da zu sein. Ich hab versucht, wirklich zuzuhören, ohne Bemerkungen und kluge Ratschläge dazwischen fließen zu lassen. Es wurde ein langes, relativ schweres Gespräch. Schritte von der Seite meines Gegenübers waren dringend angesagt, aber er mußte sie selber entdecken und tun. So hab ich mich weiter sehr zurück gehalten. Die wenigen Worte, die ich beisteuerte, versuchte ich mit ruhiger und klarer Stimme zu sagen. - Gegen Ende des Gespräches wurde mein Gegenüber ruhiger. Als wir geendet hatten, hab ich für den Anrufer gebetet, zumal mich das, was er erzählt hatte, sehr betroffen gemacht hat! - Wieder einmal neu! Eine viertel Stunde später kam eine SMS. Mein Gesprächspartner hatte sich wirklich fachliche Hilfe geholt und schon eine feste Zusage für baldige Hilfe bekommen. Damit scheint Bewegung in eine schwierige Situation zu kommen. Gut, dass ich dran geblieben war - ganz persönlich!
Ich kam an einem Handarbeitsgeschäft vorbei, in dem ich häufiger einkaufe. Die Besitzer dieses Ladens wissen um unser Engagement für Asylbewerber und Flüchtlinge in unserer Stadt und legen mir immer wieder Wollreste zurück.. Ich ging kurz rein, nur um “Hallo” zu sagen. Sofort begrüßte mich die Inhaberin ganz freudig :”Ich habe so oft an Sie gedacht. Auch Wollreste habe ich für Sie. Und da vorne steht eine Frau, die ganz viele Reste abgeben möchte, wollen Sie sie kennen lernen?” - “Aber gerne!” Ich wartete, bis die Dame, die die Woll- und Stoffreste hatte, ihr Gespräch beendet hatte und bin dann zu ihr gegangen. Ich habe mich vorgestellt und erzählt, was wir machen und auf welchem Hintergrund wir arbeiten. “Ja, ich kenne Sie aus der Zeitung, habe schon davon gehört. Ich habe auch reichlich Wolle, kann das aber nicht hier her bringen. Würden Sie die Sachen auch abholen?” - “Selbstverständlich, gerne! Sagen Sie, wann es Ihnen passt und ich komme gerne.” Wir haben uns sofort für heute Nachmittag verabredet.... Dann sprach mich eine Frau an, die ich zunächst gar nicht wahrgenommen hatte. “Entschuldigung, wenn ich Sie so einfach anspreche, aber ich habe Ihrem Gespräch gelauscht und... ja was soll ich sagen, ich bin begeistert. Darf ich mich bei Ihnen melden? Ich möchte auch etwas geben?” “Liebend gerne!”
Wer sollte das junge Paar an diesem Feiertag zu einem spontan anberaumten Rechtsanwalttermin fahren? Sie waren arm und in Deutschland noch unbeholfen, sofort verstand ich diese Situation als “Anruf” an mich. Ich organisierte meinen Nachmittag um und fuhr mit dem Paar, die mit schweren Traumata in ihrer Geschichte zu kämpfen haben, zu dem vereinbarten Termin. - Der Rechtsanwalt schien nicht optimal vorbereitet und all seine Fragen ließen nicht auf überdurchschnittliches Fachwissen schließen. “Aber deshalb bist du doch mitgefahren, um dich selber mit all deinen Infos und Fragen einzubringen!” schoss es mir durch den Kopf. So begann ich durch viele Fragen die Dringlichkeit der Lage ins Licht zu rücken und die Hilfsbereitschaft des Fachmannes mehr und mehr anzustacheln. “Was sie da vor Ort für Flüchtlinge tun, sucht aber seinesgleichen!” sagte er auf einmal mitten im Gespräch. “Klar!” antwortete ich, “deshalb müssen ja diese jungen traumatisierten Menschen auch bei uns bleiben und dürfen nicht schon wieder neu in ein offenes Schicksal entlassen werden!” Er schmunzelte und wir arbeiteten weiter. Am Ende versprach er mir - um noch in festgesetzten Fristen zu bleiben: “Ich werde heute abend noch arbeiten und der Brief geht - wie versprochen - morgen raus!” Als wir heimfuhren war “Erleichterung pur” im Wagen zu spüren. Das junge Paar hatte in schwieriger Lage Hoffnung geschöpft. Und ich verstand, auch die geht immer nur “ganz persönlich”!
Ich freute mich auf ein Austausch-Treffen mit Freundinnen, das dieses mal in einer entfernter liegenden Stadt sein würde. Da ich diese Stadt noch nicht kannte, wollte ich früh losfahren und mir vorher noch ein wenig Zeit für meine innere Orientierung nehmen. Alles schien gut geplant! Doch dann rief mich eine Kollegin an, es gab Schwierigkeiten mit einer Schlüsselanlage. Wir mußten unvorhergesehen noch eine Schlüsselübergabe planen. Für mich war klar: Diesen Termin schieb ich noch nach meine Arbeitszeit. Gesagt und getan! Alles andere würde noch gehen! Zu Hause dann kam ein Anruf meiner Tochter, mit der Bitte etwas für sie Dringendes mit ihr zu erledigen, nach der Schule. Mein erster Impuls war: “Oh, machen wir das einen Tag später!” Aber ich merkte, wie wichtig es ihr war und so verstand ich auch diesen Anruf als "Einladung". - Direkt nach der Schule erledigte ich mit ihr ihre Dinge. Ich konnte den Gedanken an mein Vorhaben ganz beiseite lassen und wir haben mit viel Freude diese Augenblicke geteilt. Noch auf dem Weg kam der nächste Anruf. Eine Freundin rief an: “Ich erreiche schon seit zwei Tagen eine alte Dame nicht mehr, um die ich mich sonst immer kümmere. Ich bin noch auf der Arbeit, hab ein ganz komisches Gefühl kann jetzt nicht hinfahren. Kannst Du wohl mal nachschauen, ob da irgendetwas geschehen ist?” Ich sagte zu, von zu Hause bei der alten Dame anzurufen und wenn sie sich nicht melde, bei der Nachbarin anzurufen. Dann legten wir auf. Während ich darüber nachdachte, spürte ich, dass dieser “Einladung” nicht mit einem Anruf Genüge getan war. Ich mußte dort persönlich vorbeifahren - auch wenn das bedeuten könnte, zu spät zum Treffen zu kommen oder es vielleicht ganz sein lassen zu müssen. So brachte ich meine Tochter zum Ort ihres nächsten Termins und fuhr dann zu dem Haus, indem die alte Dame wohnt. Mein Klingeln an der Wohnung blieb unbeantwortet. So schellte ich bei der Nachbarin, um mich zu erkundigen. Sie erzählte, dass die alte Dame ins Krankenhaus gebracht worden sei, es ihr aber gut ginge. Sie lud mich ein hineinzukommen.... JETZT und GANZ. Also ging ich hinein und nahm mir die Zeit. Die ebenfalls schon ältere Frau erzählte, was alles in letzter Zeit mit der Dame vor gefallen war. Sie konnte einiges loswerden und ich sie in Manchem beruhigen oder ihr mit einem Tip weiter helfen. Sie bedankte sich dafür, dass ich mich in einer länger zurückliegenden Krisensituation gekümmert hätte... Es war eine gute Zeit miteinander. Als ich wegfuhr, blieben mir nur noch wenige Minuten, um eben zu Hause vorbei zu schauen, bevor ich sofort zu dem Treffen weiter fuhr, auf das ich mich sehr gefreut hatte. Ich kam noch pünktlich an! Die Straßen waren frei und ich fand sofort, wohin ich wollte. Und innerlich war ich so richtig froh! Es war die beste "Vorbereitung" auf unseren Austausch, all diesen "Einladungen" gefolgt zu sein.
“Oh, wir haben uns zu früh gefreut!” höre ich am Telefon. In der Arbeit mit Asylanten war auf ein junges afghanisches Ehepaar mit zwei kleinen Kindern hin Hoffnung aufgekeimt, dass sie in unserem Land bleiben könnten. Sie hatten bereits eine wahre Odyssee hinter sich. Nun war ein Brief angekommen, der ihnen einen weiteren Verbleib in unserem Land versagte. Dieser Anruf kam an einem Tag, der schon viele Kreuze mit sich gebracht hatte. Im ersten Augenblick spürte ich eine Barrikade in meiner Seele: “Nicht auch das noch!” Aber der Anruf kam ja wieder auf meinem Handy an und so sagte ich leise: “Ich nehme deine Einladung an!” Am nächsten Tag war ich bei dem jungen Paar in ihrer ärmlichen Behausung. Viel zu sagen war in dem Augenblick nicht. Ich spürte, wie ich ihre Not und Zukunftsangst an mein Herz zu lassen gerufen war. Ich hielt es mit ihnen aus. Ob sich noch ein Weg auftun würde? Wir hofften und hoffen gemeinsam und halten einander im Herzen!